Die Johannesoffenbarung ist für Menschen geschrieben, die ihre Bibel kennen - und damit
die "Grammatik" haben, um die vielen Bilder, Zitate und Anspielungen zu verstehen, mit denen
der Verfasser arbeitet.
Und sie ist für Menschen geschrieben, die im politisch-militärisch-wirtschaftlichen
Machtkomplex des römischen Imperiums am Ende des 1. Jh. n. Chr. eine Alternative leben.
Es sind die Schwestern und Brüder in den frühchristlichen Gemeinden Kleinasiens, die ihren
Weg zwischen Assimilation und Isolation, zwischen Mitmachen und Marginalisierung suchen.
Wider alles vordergründige Machtgebaren des "Raubtieres" (das die politisch-militärische
Gewaltherrschaft Roms symbolisiert) und seines "Bildes" (die Inszenierung des Kaiserkultes)
entlarvt die "Enthüllung" des Johannes dies als ein System der Nachäffung, das an seinen
eigenen Widersprüchen zugrunde gehen wird.
Im Himmel hingegen sind die wahren Machtverhältnisse jetzt schon sichtbar. Und im Gottesdienst
besingt die Gemeinde sie schon vorgreifend - gegen die alltäglich erfahrbare, brutale
irdische Realität. Denn "gekommen ist die Weltherrschaft unseres Kyrios und seines
Christus" (11,15) - ein politischer Affront ersten Grades gegen den Anspruch Roms und
seines Imperators auf eben diese Weltherrschaft.
Allerdings: der Christus ist das "Lamm, das geschlachtet wurde" (5,6.12) - dessen einzige
Macht sein Wort ist. In seiner offenkundigen Ohnmacht, in seinem Leiden und Sterben ist er
das Vorbild der Gemeinde. Sie ist die herrschaftsfreie Alternative zum Imperium.